Nachdem die Vorbereitungen beendet und alle Sachen und Lebensmittel im Rucksack verstaut waren machten sich Rolf, die Hunde und ich auf den Weg in den Norden.
Die Fahrt lief recht entspannt ab, und wir erreichten unser Ziel Dyranut am nächsten Abend gegen 19 Uhr. Ein Hotel südlich von Finse an der Straße 7 gelegen, die über die Hardangervidda führt. Dort angekommen bezogen wir unser Zimmer, auf dem, für Norwegen eher ungewöhnlich, Hunde sogar erlaubt waren.
Es war wie die meisten Häuser in Skandinavien, spartanisch aber gemütlich eingerichtet, gehörte jedoch nicht, wie von mir vermutet, dem DNT an, dass hieß für Rolf keine Mitgliedschaft im DNT und für mich keinen Schlüssel für die unbewirtschafteten Hütten.
Naja, es nutzte ja nichts, wir waren müde und kaputt von der langen Anreise und beschlossen, auch ohne diese Dinge noch zu erledigen am nächsten Morgen loszuziehen. Am Abend schauten wir nach dem Weg für den nächsten Tag und das raue Klima des Nordens empfing uns windig, aber mit einem in Rot getauchten Sonnenuntergang.
Es erwartete uns ein langer Tag, darauf waren wir vorbereitet. Laut Karte hieß es 9,5 Stunden reine norwegische Wanderzeit, mit Pausen rechnete ich mit 11 Stunden.
Der nächste Tag begann für alle früh, alles Notwendige noch einmal überprüfen, schnell im Hotel frühstücken und los ging unser Abenteuer.
Zunächst ging es ein Stück leicht bergab zu einem Fluss, den es zu überqueren galt, die Brücke, welche hinüberführte, war mit Paletten versperrt und ich deutete dies als Sperrung für die Brücke selbst. Nachdem ich aber vergebens nach einer geeigneten Stelle zum Durchwaten gesucht hatte, testete Rolf die Brücke und stellte fest, dass diese im besten Zustand war und ein Überqueren kein Problem darstellte.
Der Wind fegte ordentlich durch die Hochebene und nach guten 4 Stunden erreichten wir eine kleine, leider verschlossene DNT Hütte. Etwas geschützt vom Wind machten wir dort bei bewölktem Himmel eine kurze Mittagspause.
Gestärkt ging es weiter, einen kleinen Pfad entlang, parallel zum Bergkamm, an dem die Hütte lag. Nach einer Weile verschwamm der Pfad immer mehr und wir verloren ihn. Wo ist das ‘‘T‘‘, welches die Wanderwege in Norwegen markierte?
Es war nicht mehr aufzufinden und zurückzulaufen hätte über eine Stunde Zeit in Anspruch genommen. Nach einem kurzen Blick auf die Karte waren Rolf und ich uns über unseren Standort einig. Beim Gegenprüfen mit meinem Kompass kam ich jedoch immer wieder auf andere Positionen, was mich ratlos machte und lange grübeln lies.
Obwohl Rolf dem Kompass und meiner Fähigkeit, damit umzugehen, nicht allzu viel Vertrauen schenkte, ließ ich mich nicht von meiner Berechnung abbringen. Wir marschierten los und nahmen die berechnete Position an.
Vor uns tauchte plötzlich ein breiter Fluss auf, den ich auf der Karte identifizieren konnte und ab dort wussten wir, dass wir richtig waren. Den Fluss zu überqueren war mit meinen hohen Lundhags kein Problem, meinem Kumpel warf ich die Watsandalen auf die andere Seite des Flusses, nachdem durch einem misslungenen Versuch bereits einer seiner Schuhe von innen nass geworden war.
Nach einer leichten Steigung stießen wir wieder auf den markierten Weg.
Da die Zeit durch unseren kleinen Umweg ziemlich weit fortgeschritten war, spielten wir schon mit den Gedanken, unser Lager aufzuschlagen.
Vorbei an zwei großen, in der Sonne glitzernden Seen tauchte vor uns ein gigantisch großes Tal auf, durch welches sich ein großer Fluss schlängelte. Auf der linken Seite im Tal liegt die Hütte Hadlaskard, an der wir campieren wollten.
Den steilen Pfad ins Tal mussten wir trotz stärker werdender Schmerzen in Rolfs Knie an diesem Tag noch bewältigen, da wir keine Wasservorräte mehr hatten und dort der nächste Fluss gelegen war.
Der Ausblick entschädige für die Strapazen voll und ganz, das Tal lag uns zu Füßen und war auch für die Hunde eindrucksvoll.
Nach 13 Stunden erreichten wir die Hütte und wurden dermaßen von Mücken überfallen, dass an ein draußen schlafen für Hund und Mensch hier nicht zu denken war und ich uns in der Hütte 2 Betten und ein paar Boxen im Keller für die Hunde besorgte. Schnell noch eine Kleinigkeit essen und ab ins Bett. Wir waren beide müde, aber glücklich, mit unseren Hunden durch diese atemberaubende Landschaft streifen zu dürfen.
Für den darauffolgenden Tag wählten wir eine kleinere Tagesetappe, es sollten 4 Wanderstunden werden.
Vor dem Durchstarten galt es zuerst, den Fluss mit Hilfe einer Hängebrücke zu überqueren, was für die Hunde nicht so einfach war. Akrio machte nach anfänglicher Unsicherheit seine Sache besonders gut, indem er neben Rolf auf der Brücke herlief und immer mehr Sicherheit gewann.
Ein Stück an dem breiten Wildwasserfluss entlang, auf dem Kajakfahrer ihr Vergnügen fanden, ging es anschließend durch ein mückenreiches Moorgebiet. Die Sonne schien an diesem Tag ununterbrochen auf uns nieder und vom nordischen Klima war nichts zu spüren.
Vorbei an alten Hütten in typisch norwegischen Stil mit Grasdächern kamen wir an einen Fluss, der mit Hilfe von unseren Watsandalen zügig zu überqueren war.
Kotori, mein Malamute, hatte sein Spaß im Wasser gefunden und teilte dies zu unserer Heiterkeit allen mit, Taiga, meine Hündin. ging wie immer zielstrebig voraus und hatte kein Verständnis für Kotoris Freude am Wasser.
Auf festem Boden weiter ging es einen Hang hinauf, bei dem besondere Vorsicht geboten war, da oben Schafe standen, sogleich von allen Hunden entdeckt. Kotori war außer sich vor Tatendrang und fest entschloss, sein Frühstück nicht entkommen zu lassen. Nach deutlichem Ermahnen meinerseits mäßigte er sich und wir konnten den steilen Pfad direkt an einem Abhang gelegen unbeschadet aufsteigen.
Zwischendurch begegneten uns zwei junge Deutsche, die zuvor an einem noch etwas oberhalb gelegenen See gezeltet hatten. Nach einer halben Stunde erschien der See vor uns, ein riesig großes Schneefeld verschmolz auf der anderen Seite mit dem See.
Ein Stückchen weiter an der Torehytten angekommen lag vor uns ein See, indem großen Eisblöcken schwammen. Ich träumte schon seit langen davon, in einem solchen See baden zu gehen und so hab ich es mir nicht nehmen lassen. Es war sehr kalt, so kaltes Wasser hatte ich noch nie erlebt, die Füße schmerzten schon, als ich bis zum Knöcheln im See stand, aber es nützt ja nichts, Augen zu und durch, Oberkörper runter und mit dem Kopf unter Wasser.
Es hat richtig gut getan, anschließend trocknete ich mich in der wärmenden Sonne bei leichtem Wind.
Bei dem schönen Wetter hielten wir alle ein Nickerchen und ließen den Tag mit einem leider misslungenen Essen ausklingen: Es sollten Fallafel mit Kartoffelbrei geben, der Kartoffelbrei ist auch was geworden, aber die Fallafel waren dermaßen fettig , dass mir am Abend ein wenig übel war, ab da wurde auf Fallafeln verzichtet.
Rolf erholte sich an diesem Tag richtig von den Strapazen zuvor.
Am Abend in der Hütte traf ich einen Landsmann aus Berlin, er berichtete mir von dem schlechten Tag, den er und sein Kumpel gehabt hatten. Die beiden hatten sich schwer verlaufen und waren anstatt 7 Stunden 12 unterwegs gewesen. Auf die Frage nach einem Kompass erwiderte mir Conrad: „ Ja mein Kumpel hat einen auf seinem Smartphone, aber ich habe keine Ahnung, wie man damit umgehen soll.“ Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Antwort, fassungslos konnte ich mir ein leichtes Lachen nicht verkneifen.
Naja, inzwischen kam sein Reisepartner aus dem Schlafsaal, um noch eine Kleinigkeit zu essen. Die beiden sahen echt ziemlich fertig aus, ich erzählte ihnen noch ein paar grundlegende Sachen im Umgang mit Kompass und Karte und ging dann schlafen.
Am darauffolgenden Tag starteten wir kurz hinter einer Norwegerin in Richtung Litlos. Die Strecke begann mit einem steilen Abhang, der mit Schlittenhunden vor dem Bauch nicht so leicht zu bewältigen war. Schweißgebadet etwas weiter unten auf Felsbrocken angekommen ging es weiter über den Wasserfall, der zur linken Seite 80 m die Felsen hinabstürzte.
Am letzten großen Felsen angekommen drehte ich mich um und wollte hinabklettern, rutschte ab und schlug mit dem Rücken auf den Steine auf. Das Geschehen verarbeitend wurde mir bewusst, welches Glück ich gehabt hatte.
In diesen Momenten wird einem klar, dass wir nur die Schöpfung sind, nicht die Schöpfer, auch wenn ich manchmal in Großstädten den Eindruck habe, dass dies die meisten Menschen annehmen.
Mein großer Rucksack bewahrte mich vor größeren Verletzungen, meine Hunde guckten erstaunt auf mich nieder und standen ruhig da. Ich hob meine beiden Hunde hinunter und wartete auf Rolf, der jetzt gewarnt war und Akrio zuerst abseilte und dann vorsichtig hinunter kletterte.
Es ging weiter Richtung Hardeigen hinauf, kurz davor angekommen traf ich die Norwegerin und setzte mich zu ihr, um auf Rolf zu warten und ein Stück meiner Schokolade zu genießen.
Die Aussicht hier oben war genial und Rolf näherte sich immer schneller. Zusammen gingen wir über ein paar steile Schneefelder zum Fuße des gigantischen Bergmassivs. Der starke Wind, der hier oben zu spüren war, erinnerte mich an meine letzte Schwedentour im Winter, bei der wir auch solch starke Winde erlebten. Auch Rolf spürte hier oben die Naturgewalten und war dennoch begeistert von der Schönheit, die Hardangervidda zu bieten hat.
Mit Wasser unterspülte Schneefelder erzeugten beim Überqueren ein mulmiges Gefühl im Bauch. Der Streckenabschnitt zwischen Torehytten und Litos bietet viel Abwechslung und war neben dem Abschnitt am Tag zuvor der schönste.
In Litlos angekommen bezogen wir einen kleinen Schlafsaal, der damit voll belegt war. Litlos selbst empfand ich schon so manches Mal als Frechheit. Für eine Tasse lauwarmes Wasser 70 Cent zu nehmen, welches kälter war als aus dem Wasserkran, fand ich nicht fair. Am Abend aßen wir noch ein paar Nudeln und tranken jeder ein Bier, dabei wurde jeder Schluck genossen wie man es in Deutschland nie machen würde.
Nach dem Aufstehen am nächsten Tag bemerkten wir, dass es regnete und nicht den Anschein machte, im Laufe des Tages aufzuhören. So zogen wir mit Poncho und Regenbekleidung los, es gab nicht viel zu erzählen, Dauerregen, alles nass und flaches, weites Gelände.
Es gab keine Pausen während sich meine Hose mit Wasser vollsog, da die Abgänge des Bauchgurts den Poncho hochdrückten und so lief das Wasser irgendwann von oben in die Stiefel hinein.
Nach 6 Stunden Durchmarschieren ohne Pause erreichten wir endlich Besso, wo ein großer Mann auf mich zu kam und mir sagte mir, dass hier geschlossen, eine Hütte auf der anderen Seite des Sees jedoch offen sei, der Karte nach Sandhug . Bei der Vorstellung, weitere 2 Stunden in total durchnässten Sachen weiter zu laufen, machte sich nicht gerade Freude breit, auch Kotori sah sein Ziel in Besso und machte dies eine halbe Stunde lang deutlich, indem er sich von Taiga hinterher ziehen ließ. Von meinen Ermahnungen hat er, malamutentypisch, nichts angenommen.
Zwei Stunden später kamen wir endlich in Sandhug an und wurden dort nett begrüßt. Hunde ins Trockene bringen und rein ins Warme.
An diesem Abend gönnten wir uns ein leckeres Abendessen und genossen es in vollen Zügen.
Wir beschlossen, hier einen Ruhetag einzurichten, alles zu trocknen und den Hunden ein wenig Pause zu gönnen, denn Akiro taten von dem häufig steinigen Untergrund ein wenig die Füße weh.
Das Wetter klarte an diesem Tag ein wenig auf und der Regen stoppte.
Wir hatten ab jetzt noch 2 Wandertage Zeit und so beschlossen wir, einen Abstecher in den Osten der Hardangervidda zu machen, unser Ziel hieß ab da Raundhellerm. Bei immer flacher werdendem Gelände konnte man den Hardeigen hinter uns immer wieder deutlich erkennen.
Das Wetter war bewölkt, aber trocken, mit Mücken hatten wir nur in den Pausen Probleme, während des Laufens ließen sie uns meistens in Ruhe. Nach einer ganzen Weile erschien vor uns eine Hütte und ich war mir sicher, dass das Raundhellerm war, aber die kurze Wanderzeit brachte mich ein wenig zum Nachdenken. Normalerweise hätten wir noch 3 Stunden wandern müssen. Etwa 2 Stunden später wusste, ich was los war, die Hütte konnte man ca. 3,5 Stunden vor Ankunft sehen und so zog sich der Weg eine gefühlte Ewigkeit hin.
Der Osten ist landschaftlich nett, aber mir persönlich zu monoton. Der Westen der Hardangervidda hingegen hat viel mehr Abwechslung zu bieten.
In Raudhellerm angekommen empfingen uns zwei Pferde und ein wolfshundähnlicher Hofhund, der einen sehr entspannten Eindruck machte. Kurz hinein und nach den Hundeplätzen fragen, nachdem alles klar war ging ich zu meinen Hunden zurück, wo wir von Hausschweinen empfangen wurden. Das fand ich jetzt nicht mehr lustig, da die Schweine natürlich neugierig waren und Kotori und Taiga besuchen kommen wollten.
Kotori und Taiga waren sich sehr einig, wie man in einem solchen Fall zu verfahren hat, mit Geschrei und Gebrüll darauf los und Angriff. Den konnte ich zum Glück abwenden, unter Aufbietung aller Kräfte zerrte ich die beiden in das von außen zugängliche Hundezimmer.
Rolf hatte an der Stelle weniger Probleme, er nahm Akiro, der noch keine Schweine kannte und etwas verunsichert war, einfach zwischen seine Beine.
Mit einer netten Familie und einer interessanten Unterhaltung über Reisen in Skandinavien klang der Abend aus.
Der letzte Tag war angebrochen, wir machten uns abmarschbereit, noch schnell bezahlen und los ging es. Ein letzter Blick zurück und weiter eine Hügelkette hinauf, an ihr entlang ging es Richtung Dyranut, unserem Ausgangspunkt.
Das Wetter war sehr wechselhaft zwischen Wolkendecke und Sonnenschein, auch der Nieselregen meldete sich kurz, wurde aber vom Wind schnell vertrieben.
Nach einer kurzen Pause am Mittag stießen wir auf die erste richtige Straße nach gut einer Woche.
Von hier an waren es noch ca. 2 Stunden bis zur Hütte und mir wurde klar, dass unsere Reise sich dem Ende zu neigt. Ich sah die Hunde an und spürte, dass wir in diesem Moment das Gleiche empfanden: den Wunsch, noch wochenlang so weiterzuziehen, hier durch die Berge, Tag für Tag Neues zu entdecken und eins zu werden mit der Natur selbst.
Wie sehr hatte ich mich in der Woche an dieses Leben gewöhnt, dass ich es nicht mehr hergeben wollte, weg von all den Menschen, bei denen Worte mehr zählen als Taten, weg vom Berufsalltag, der einem die Zeit zum Leben raubt.
Hier, stellte ich fest, ist die Welt, wie ich sie mir wünsche, DER HOHE NORDEN, Europas letztes Stück Erde.
Ich, mit Wehmut im Bauch, und Rolf, mit Vorfreude darauf, sein Rudel wieder zu sehen, verließen am nächsten Morgen die Hardangervidda, die uns zum Abschied einen schönen Sonnenaufgang bescherte.
Wir werden uns wieder sehen und zwar im nächsten Winter, in dem ich dort eine Tour veranstalten werde. Für all die, die auch dieses schöne Gefühl erleben möchten.
Lukas Sommer